GRUNDSATZENTSCHEIDUNG DES GERICHTSHOF DER EUROPÄISCHEN UNION (AZ C-68/17)

In dem inzwischen weithin bekannten „Chefarzt-Fall“ hat der Europäische Gerichtshof heute seine mit Spannung erwartete Entscheidung getroffen. Er hat dem Bundesarbeitsgericht, das nun über den konkreten Fall zu entscheiden haben wird, wenig Spielraum gelassen und im Kern entschieden: Die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung kann eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. Der Kläger des Verfahrens ist katholischer Konfession und arbeitete als Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin” eines Krankenhauses, das von A, einer der Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln (Deutschland) unterliegenden deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wird. Als die Arbeitgeberin erfuhr, dass der Kläger nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hatte der Kläger durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Loyalitätsobliegenheiten aus seinem Dienstvertrag verstoßen. Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse , auf die der Dienstvertrag des Klägers verweist, sieht vor, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt und seine Kündigung rechtfertigt. Nach dem Ethos der katholischen Kirche hat die kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen Charakter. Das Bundesarbeitsgericht hatte den Europäischen Gerichtshof um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie ersucht, nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten. Mit seinem heutigen Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Beschluss einer Kirche oder einer anderen Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine (in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. Bei dieser Kontrolle müsse das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos sei. Im vorliegenden Fall habe das Bundesarbeitsgericht zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Der Europäische Gerichthof hat jedoch in großer Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der Bedeutung der vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, für die Bekundung des Ethos der Arbeitgeberin nicht notwendig zu sein scheine. Sie scheine somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet werde, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut würden, die nicht katholischer Konfession sind und folglich nicht derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Arbeitgeberin zu verhalten, unterworfen gewesen seien. Der Gerichtshof hat darüber hinaus festgestellt, dass die in Rede stehende Anforderung nicht als gerechtfertigt erscheine. Das Bundesarbeitsgericht habe jedoch zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls die Arbeitgeberin dargetan habe, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich sei. Schließlich hat der Europäische Gerichtshof darauf hingewiesen, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich sei, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet sei, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts wie insbesondere dem nunmehr in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegten Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der sich daraus ergebenden Rechte zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lasse. Es ist jetzt die Aufgabe des Bundesarbeitsgerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Mit der nun vorgegebenen Linie rennt der EuGH in Erfurt möglicherweise offene Türen ein: Das Bundesarbeitsgericht hatte die Kündigung bereits im Jahr 2014 für unwirksam erklärt. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Urteil jedoch „kassiert“: In einem solchen Fall sei dem Selbstverständnis der Kirche ein “besonderes Gewicht” beizumessen.